Auf Reisen mit Fremden

Günstige Flüge sorgen dafür, dass die Reiselust größer ist, als je zuvor. Zudem bieten zahlreiche Apps und Online-Seiten Dienste zur Einsparung weiterer Reisekosten an. Couchsurfing, Blablacar oder Joinmytrip sorgen nicht nur für die Reduzierung von Reisekosten, sondern helfen auch dabei neue Leute kennenzulernen und verhindern, nicht alleine unterwegs zu sein. Doch wie hilfreich sind die Angebote wirklich? Der Selbstversuch nach Marokko gab Aufschlüsse.
Für unfassbare 40 Euro buche ich den Flug nach Marrakesch. Der Haken an der Sache: Der Flughafen Frankfurt-Hahn befindet sich mitten im Nirgendwo. Über die App Blablacar finde ich den Studenten René, der für 15 Euro eine Fahrt von Münster nach Koblenz angebietet. Blablacar sorgt für eine moderne Version des Trampens. Für die gleiche Strecke hätte ich mit der Bahn mehr als das Doppelte zahlen müssen.

Pünktlich um 10:50 Uhr kommt der 23-Jährige mit seinem Opel Astra am abgemachten Treffpunkt an. Beim Bahnhof sammeln wir noch den Syrer Nadim ein, der in Münster einen Freund besucht hatte. Während der dreistündigen Fahrt unterhalten wir uns über die verschiedensten philosophischen Themen. Die Zeit vergeht im Flug. Ich bin von Blablacar begeistert. Am Ende profitiert jeder von dem Angebot: „Ich spare die gesamten Spritkosten“, sagt René. Nadim und ich kommen komfortabel und günstig an unser Ziel und die Umwelt freut sich über das eingesparte Kohlenstoffdioxid. Durch die Möglichkeit, die Fahrer zu bewerten, hält sich das Risiko, entführt zu werden, meiner Meinung nach in Grenzen. Was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste: Auf der Rückfahrt vom Flughafen sollte ich eine negative Erfahrung machen.

In Koblenz angekommen, mache ich mich auf dem Weg zu meiner Übernachtungsmöglichkeit. Ein Hostel in Koblenz würde mich mehr als 20 Euro pro Nacht kosten. Über das Portal Couchsurfing habe ich Lisa ausfindig gemacht, die gerade ihre Doktorarbeit schreibt und in einer WG mitten in der Innenstadt lebt. Dadurch, dass ein Mitbewohner ausgezogen ist, habe ich sogar ein eigenes Zimmer. Abends kochen Lisa und ich zusammen. Obwohl wir uns gerade erst kennengelernt hatten, haben wir uns viel zu erzählen. Ausgeruht und voller Energie stieg ich am nächsten Morgen in den Bus zum Flughafen. Couchsurfing hat sich wirklich bewährt und ist sicherlich einer der besten Möglichkeiten, Insider-Tipps von Einheimischen zu erfahren und kostenlos bei jemandem zu übernachten.

Am Flughafen treffe ich zum ersten Mal Chris, der auf meine Annonce auf der Website Joinmytrip geantwortet hat. Joinmytrip bietet ein Netzwerk, das Reisenden ermöglicht, gleichgesinnte Reisepartner zu finden. Ich habe einen Eintrag geschrieben, dass ich vor dem deutschen Winter fliehen möchte und zahlreiche Nutzer haben Interesse gezeigt, mich dabei zu begleiten. Auch einige ältere Herren fühlten sich durch meine Fotos sehr angesprochen. Vorsicht ist geboten, bei Personen, die die Hotelkosten für die Reisebegleitung übernehmen möchten. Chris möchte hingegen Low-Budget und sehr spontan unterwegs sein. Wir haben miteinander telefoniert und die Reisepläne beschlossen. Nichtsdestotrotz war es irgendwie ein komisches Gefühl, ihn dann am Flughafen zu treffen. Jedoch erweist es sich als sehr praktisch, die Verantwortung für die Reiseplanung zu teilen: „Ich habe schon ein Hostel gebucht und mit verschiedenen Marokkanern geschrieben, die uns die Stadt zeigen wollen“, erklärt Chris. Im chaotischen Marrakesch angekommen, fühle ich mich mit dem 23-Jährigen an meiner Seite ziemlich sicher.
Am zweiten Morgen in Marokko geschieht jedoch die Katastrophe. Chris weckt mich um vier Uhr morgens auf und appelliert, dass er zum Krankenhaus gebracht werden muss. „Das gehört als Reisepartnerin jetzt wohl auch dazu“, denke ich mir, und quäle mich aus dem Bett. Die Ärztin im internationalen Krankenhaus diagnositiziert eine Lebensmittelvergiftung und verschreibt Bettruhe. Glück im Unglück: Im Hostel lerne ich einen Schotten, einen Kanadier, einen Norweger und einen Neuseeländer kennen, die zum Surfen in Taghazout aufbrechen. Chris lasse ich ziemlich kaltherzig in Marrakesch zurück. Nur, weil wir zusammen herflogen sind, fühle ich mich nicht für ihn verantwortlich. Während der Fahrt an die Küste schlussfolgere ich: Für den Anfang ist eine Reisebegleitung eine gute Sache, jedoch gibt es zahlreiche Möglichkeiten, in Hostels interessante Menschen kennenzulernen. Sich an eine Person zu binden, kann die Flexibilität erheblich einschränken. Die nächsten Tage lief es folgendermaßen: 1. Beliebtes Hostel auf Hostelworld im Zielort gesucht. 2. Im größtmöglichsten Schlafsaal eingechekt. 3. Nette Menschen aus der ganzen Welt kennengelernt und zusammen Aktivitäten unternommen.
Unverhofft erweist sich eine weitere App als Hilfe zum Kennenlernen neuer Leute: Tinder. Die Smartphone-App dient eigentlich als Singlebörse, bei der zahlreiche Singles auf dem Bildschirm erscheinen und sich bei gegenseitigem Interesse am Aussehen des Anderen ein Chatfenster öffnet. Durch dieses Prinzip finde ich zwei attraktive Reisepartner, die sich in meiner Nähe befinden und mich beim Surfen und einer langen Busfahrt begleiten. Sogar den Piloten meines Rückfluges finde ich auf Tinder – aber das ist eine andere Geschichte. Eventuelle sexuelle Hintergedanken waren bei den gemeinsamen Aktivitäten nicht sonderlich präsent. In den Schlafsälen der Hostels kommt auch nicht unbedingt eine romantische Stimmung auf.
Nach zehn Tagen voller Abenteuer, Surfen und Shopping muss ich mich wieder auf den Rückweg machen. Das Glück meint es gut mit mir, glaube ich, als ich den Blablacar-Fahrer Qeiss fand, der um Mitternacht vom Flughafen nach Frankfurt fahren wollte. „Das läuft ja wie geschmiert“, denke ich mir. Einen Tag vor Abflug checke ich noch einmal die Konversation und sehe, dass Qeiss die Autofahrt gelöscht und seine Handnummer versteckt hat. Na super. Ich setze all meine Hoffnungen darauf, beim Flughafen spontan eine Mitfahrgelegenheit zu finden. Stilecht bastel ich mir sogar ein Pappschild mit der Aufschrift „Frankfurt?“. In der Warteschlange vor dem Gate fragte ich verzweifelt alle Passagiere nach ihrem Zielort. Und hatte Glück! Paul und seine Tochter Alina fahren mich in einem chicen BMW komfortabel zum Frankfurter Bahnhof, wo ich um zwei Uhr einen günstigen Flixbus bis nach Münster nehme.

Fazit: Ich empfinde Reisen als eine der intimsten Dinge, die man mit jemandem unternehmen kann. Während der Tage habe ich mir vom Schlafzimmer über den Geldbeutel bis zum Essen das Meiste geteilt. Auf der Internet-Suche nach einem Reisepartner, sollte darauf geachtet werden, die gleichen Interessen für die Reise zu haben und auf einer Wellenlänge zu sein. Jemand, der sich immer über Kleinigkeiten aufregt, dauernd meckert oder alles bis ins letzte Detail planen möchte, kann ziemlich anstrengend werden.

 Zu Blablacar und Couchsurfing: Zwar kostet es mehr Kraft und Nerven, nach Mitfahrgelegenheiten und Übernachtungsmöglichkeiten zu suchen – Jedoch kann dadurch einiges an Geld eingespart werden. Ein gewisses Risiko bleibt am Ende nicht aus. Ich bin zu Fremden ins Auto gestiegen, habe bei ihnen übernachtet und bin zusammen mit ihnen durch die dunklen Gassen in Marrakesch gelaufen – zur Überraschung meiner besorgten Eltern lebe ich noch.
Im Endeffekt waren meine anfänglichen Ängste, ohne eine bekannte Person wegzufahren, unbegründet. Schlussendlich war ich nie alleine unterwegs, wobei mir das vielleicht ab und zu gut getan hätte.


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